Ich lebe seit 2003 in Österreich und stamme ursprünglich aus Kroatien. Nach Tirol kam ich nachdem ich mein Soziologiestudium an der Universität Zagreb abgeschlossen und meinen zweiten (preisgekrönten) Gedichtband veröffentlicht hatte.
Als ich ganz alleine nach Tirol kam, musste ich erst die Sprache lernen, weshalb ich mich mit Hilfstätigkeiten in Fabriken oder der Gastronomie über Wasser halten musste. Ich erfuhr dementsprechend einen regelrechten Kulturschock nach meiner Ankunft. All das was ich mir zuvor über Jahre, insbesondere in der Kunst- und Kulturszene Kroatiens aufgebaut hatte, spielte hier kein Rolle. Ich hatte Kroatien verlassen, um aus den sehr traditionell und patriarchal geprägten Gesellschaftsstrukturen auszubrechen.
Allerdings sah ich mich nun erstmals mit fremdenfeindlichen und misogynen Mikroaggressionen konfrontiert.
Aufgrund meines fehlenden Sprachvermögens fühlte ich mich vor allem zu Beginn meiner Zeit in Innsbruck solchen Erfahrungen hilflos ausgeliefert. Ich fühlte mich wieder wie ein Kind, dem schlichtweg die Worte fehlten, um mich zu wehren. Der abrupte Verlust der Sprache traumatisierte mich emotional richtiggehend, weshalb ich nicht mehr im Stande war weiterhin kroatische Lyrik zu schreiben. Das Bedürfnis mich kreativ auszudrücken war allerdings zwingender denn je und so fand ich Gefallen den bildenden Künsten. Da mir in Tirol, anders als in Kroatien, ein Netzwerk in der Kunst- und Kulturszene fehlte, musste ich meine künstlerische Arbeit nebenberuflich verfolgen. Meiner damaligen Selbstwahrnehmung entsprechend faszinierte mich insbesondere Aussenseiterkunst (Art Brut), Kinderkunst sowie naive Kunst.
Der Begriff Art Brut bezieht sich auf Kunstwerke, die von Menschen geschaffen wurden, die keine formale künstlerische Ausbildung haben oder die außerhalb der traditionellen Kunstwelt arbeiten. Dazu gezählt werden Arbeiten von psychisch Kranken, Kriminellen, Menschen mit Behinderung, aber auch Kinder. Diese Kunstwerke sind meist roh, ungeschliffen, unkonventionell. Für Ihre Arbeiten ziehen sie unterschiedlichste Materialien und Techniken heran.
Im antikapitalistischen Diskurs sollte Aussenseiterkunst einen wesentlich höheren Stellenwert innehaben, da sie eine Alternative zur kommerzialisierten Kunst darstellt, die von der Kunstwelt und dem Markt kontrolliert wird. Art Brut kann demnach als Ausdruck der Freiheit und Unabhängigkeit von den Zwängen des Marktes und der Kunstwelt interpretiert werden. Die Künstler:innen, die solche Kunst schaffen, sind nicht an die Erwartungen und Standards der Kunstwelt und Gesellschaft gebunden sind in der Lage bzw. gezwungen Kunst nach ihren Ansprüchen und Idealen zu schaffen. Art Brut kann auch als Ausdruck der Vielfalt und/oder der Stimmen der Menschen interpretiert werden, die normalerweise vom Markt, von der Kunstwelt, und Gesellschaft ausgeschlossen sind. Die Künstler:innen, die unter Art Brut zusammengefasst werden, weisen verschiedenste Hintergründen, wie auch Erfahrungen auf und durch die Kunst schaffen sie es eine Vielzahl von Themen und Perspektiven Ausdruck zu verleihen, wie es ihnen auf andere Weise nicht gelungen wäre. So können die Vertreter:innen von Art Brut Meinungen und Perspektiven ausdrücken – ihre Position in der Gesellschaft ist obsolet. Außenseiterkunst kann als Emanzipations-, Unabhängigkeits-, Vielfalts- und Demokratisierungsvorstoß in der Kunst interpretiert werden.
Die Serie „Prinzessinnen" besteht aus 13 großformatigen (150 x 100 cm) Gemälden auf Leinwand, gemalt in Mischtechnik im Stil von Kinderkunst, in denen ein feministisches Thema behandelt wird. Mit dem Projekt möchte ich den frühkindlichen Ausdrucksformen eine Plattform und viel Platz geben. Konkret ist es mir ein Anliegen die Prinzessinen als eine Art Superheldinnen darzustellen. Um einer authentischen Darstellungsweise möglichst Nahe zu kommen, habe ich zahllose echte Kinderzeichnungen recherchiert und studiert. Die leidenschaftliche nahezu respektlose Spontanität, mit der kleine Kinder auf Probleme beim Malen eingehen, der unerschrockene, gnaden- und maßlose Umgang mit dem Material einerseits und die liebevolle zum Teil auch kitschige Ausgestaltung verschiedener Persönlichkeitsattribute solcher Prinzessinen, wirken stets souverän, autark, subversiv und emanzipatorisch. Welche Attribute der Prinzessinnen hervorgehoben werden, sind selbstverständlich auch kulturell, sozial und politisch geprägt. Die Hervorhebung geschlechtsspezifischer Eigenschaften, die bei Kinderzeichnungen oft Anwendung finden, sehe ich in diesem Kontext nicht als Symbole der sexualisierten Objektifizierung der Frau, sondern als Ausdruck der Stärke: die Kinder benutzen Geschlechtsstereotype als Insignien ihrer femininen Macht. Den Begriff Prinzessin möchte ich in diesem Kontext positiv konnotiert verstehen: sie sind keine passive, lebensunfähige Personen die nur darauf warten entführt zu werden. Im Gegenteil, Prinzessinen sind starke, unabhängige und widerstandsfähige Frauen. Kinderzeichnungen, die Prinzessinnen abbilden, haben eine feministische Bedeutung, da sie das Selbstbewusstsein von Mädchen durchaus nachhaltig stärken können. Prinzessinnen treffen ihre eigene Entscheidungen und kämpfen für das, was ihnen wichtig ist. Das Zeichnen von Prinzessinnen hilft den kleinen Künstler:innen eine Welt voller Fantasie und Magie zu schaffen, in der sie selbst, eine idealisierte Form ihrer selbst, bzw. andere reale oder fiktive Charaktere die Hauptrolle spielen.
Kinderzeichnungen von Prinzessinnen stellen eine Möglichkeit für Kinder dar, ihre eigene Realität, sowie Bedeutung zu schaffen und sich gegen die Ohnmacht ihres kindlichen Daseins zu wehren. Dass es sich um 13 Werke, also 13 „Prinzessinnen“ handeln wird, ist kein Zufall, sondern als Referenz auf zumindest ein Märchen zu verstehen. Im Märchen Dornröschen werden vom König 12 Feen eingeladen und nur eine – die 13. nicht - was damit begründet wird, dass nur 12 goldene Geschirrservice vorhanden seien. Als dann die 13. „böse“ Fee ohne Einladung zu den Feierlichkeiten erscheint, wird ihr kurzerhand ein silbernes Service angetragen. Sowohl die Anzahl an Feen, als auch die Materialien der Geschirrservice haben eine spannende Symbolik auf einer Metaebene. So können die zwölf Feen, die ein goldenes Geschirr erhielten, als vom König (Stellvertreter des Patriarchats) erwünschte Gäste verstanden werden. Zum Einen ist Gold, das häufig mit der Sonne assoziiert wird, männlich und Silber, das wiederum mit dem Mond assoziiert wird, weiblich konnotiert. Gleichermaßen symbolisiert die Zahl zwölf die zwölf Monate des Jahres, wohingegen das Jahr genauso 13 Vollmonde und monatliche Regelblutungszyklen umfasst. Die Unterteilung des Jahres in 13 Monaten wäre nicht zuletzt deshalb logischer, weil sich das Wort Monat etymologisch vom Begriff Mond ableitet.
Bildinhalte und Darstellungsformen, die zunächst banal oder infantil wirken, beschäftigen mich als Künstlerin seit jeher, da ich in ihre unbekümmerten Herangehensweise nicht nur als authentisch, sondern auch als anarchistisch und subversiv wahrnehme.
Frühjahr 2023
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Text von Ivana Marjanović für die Austellung im Kunstraum Innsbruck am 08. März 2024:
"Die beiden Gemälde von Nikolina Žunec gehören zu der Serie Prinzessinnen (2023-fortlaufend), die als dreizehn Malereien im Stil von Kinderzeichnungen konzipiert sind. Indem sie Materialien mischen und sich über realistische Darstellungen und Proportionen hinwegsetzen, zelebrieren diese Werke die unkonventionelle Art und Weise, in der sich Kinder der Kunst nähern. Vergrößert auf das Format eines 100 x 150 cm großen Gemäldes gewinnen die Zeichnungen der Prinzessinnen eine Monumentalität und Aufmerksamkeit, die man der ephemeren Kinderkunst normalerweise nicht zuteil werden lässt. Die Verwendung des Stils der „Art Brut“ oder „Outsider Art“ ist in diesem Fall eine konzeptionelle Entscheidung, die sich auf den künstlerischen Ausdruck von Minderheiten und Menschen bezieht, die am Rande des kapitalistischen Marktes stehen. Nikolina Žunec, die sich als Künstlerin mit Migrations- und Ausgrenzungserfahrung eng mit dieser sozialen Gruppe identifiziert, kritisiert kapitalistische Monokulturen, die Hegemonie von Stilen, Geschmäckern und Diskursen und deren privilegierten Zugang zur Kunst.
Auf den ersten Blick sehen die beiden ausgestellten Bilder unschuldig und lustig aus, doch bei näherem Hinsehen offenbaren sie eine unheimliche Bildsprache mit ungehemmten Formen, unorthodoxen Beziehungen zu Körperformen und alternativen Konzepten von Schönheit. Körperteile morphen und verwandeln sich ineinander oder verschwinden. Das kulturell und gesellschaftlich vermittelte Bild der Prinzessin, das eine Ambivalenz von Ermächtigung und Passivität in sich trägt, erfährt eine gewisse Form der Verzerrung und Umschreibung. Selbst wenn sie absichtlich einige konventionelle Elemente reproduzieren, reflektieren diese Bilder den Status der Prinzessin als Superheldin in der Vorstellung der Mädchen, die als mächtige, selbstbewusste Figur und Anführerin wahrgenommen wird. Diese Arbeiten adressieren die Demokratisierung von Kunstformen, aber schärfen auch das Bewusstsein für Body Positivity, die Erziehung von Kindern und ganz allgemein die Stellung von Kindern in unserer Gesellschaft, ihre Diskriminierung und ihre Rechte. Nikolina Žunec, die als Künstlerin, Kunsttherapeutin und Dolmetscherin arbeitet, sieht ihre Arbeit als einen Aufruf zur Entwicklung von Diversität, Inklusion, Autonomie und Souveränität."