Wenn du dich mit der Architektur nicht auskennst, dann kennst du dich mit Brutalismus aus. Und wenn du dich mit Programmieren nicht auskennst, dann kennst du dich mit Image Manipulation Generatoren im Internet aus.
Nevermind, sagte ich mir selber in meiner ordinär-manischen Manier und fing an mit vollem Enthusiasmus Brutalismus zu glitchen.
Weil ich ein sozialistisch sozialisiertes Kind aus Jugoslawien bin, fühle ich mich in den prekären termitigen Betonmammuten am Wohlsten. Nicht nur das. Ich finde die Plattenbauten, besonders im nebligen Winter, so berührend schön, so atemberaubend, dass ich beim Anblick an diese monumentale Fabrikate aus rein ästhetischen Gründen weinen muss.
Das Glitchen der JPEGs hat sich dann gemächlich zu einem Zwang entwickelt, gleich wie sich jedes Kunstprojekt meinerseits zu einem masslosen Zwang entwickelt indem ich ein Wettrennen mit mir selber starte jeden Tag ein Werk zu produzieren und es auf FB und Insta zu posten, um endlich die Serie fertig zu haben und den inneren Schaffensdruck los zu bekommen, was sich in der plötzlichen Entstehung einer neue Idee verkompliziert und das Spiel startet von Neuem an - neue Serie, das Fertigen von neuen Werken im Tagesrhythmus, neuer Druck, neuer Zwang, Social Media, online.
Eigentlich geht es da um eine wild ausgeartete Sucht die wiederum ein verzweifelter Ablenkungsmanöver meiner verborgener tiefgreifender Depression ist. Und diese Depression ist ein Produkt der misslungenen Anpassung einer Migratin. Ich bin hier im Alpenland als Künstlerin und als Person einfach untergegangen. Ich habe es nicht geschafft. Ich arbeite künstlerich seit 20 Jahren hier und warte noch immer auf die Antwort von Tiroler Künstler:innenschaft ob ich in ihrem Verein ein Mitglied sein darf und endlich in einer normalen Galerie mein Zeug ausstellen kann.
Ich habe nur Facebook. Und Insta. Mit Maximum 30 Likes pro Posting, hehe, aber was solls, das ist alles was ich habe. Ich bin ein Eremit geworden. Sozial versagt. Deswegen habe ich mich letztendlich auch entschieden brutalen Glitchkitsch zu produzieren. Weil man da nichts können muss! Und weil man so oft enttäuscht wurde - nach einiger Zeit scheisst man einfach drauf.
Jedenfalls ist Glitch-Kunst sowie die Würdigung der brutalistischen Architektur zu einer trivialen Mode des internetsüchtigen Mittelschicht-Introverten geworden. Es ist zum Kitsch geworden. Kitsch verschlingt heutzutage alles mit einer Lichtgeschwindigkeit, dass es einen nur friert. Ich trage trotzdem oder genau deswegen meinen Kitsch mit Stolz. Eigentlich finde ich sogenanntes gutes Geschmack in Zeiten der technischen Reproduzierbarkeit nur noch peinlich bzw. selber kitschig wenn nicht konservativ, verklemmt, impotent und bürgerlich langweilig. Die durch die Reproduzierbarkeit entstehende kollektive Ästhetik nämlich bietet die Möglichkeit der Entwicklung hin zu gesellschaftlicher Emanzipation unserer Sehnsüchte und Triebe (hat schon Walter Benjamin gecheckt) und deswegen denke ich die Mut zum schlechtem Geschmack könnte uns unter anderem mehr vom dreckigen Sex bringen!
Jedenfalls, obwohl uns die gnadenlose Maschine der Kulturindustrie zu zermatschen scheint, glaube ich noch immer an die subversive Kraft des „aktiven Konsumenten“ der nicht nur passiver Abnehmer von Produkten, sondern selbst auch Produzent ist: durch die Auswahl der Produkte, die er trifft, „bastelt“ er an seiner Identität und seinem Subjekt weiter (was schon Michel de Certeau gecheckt hat). Das heisst wir brauchen nicht viel kulturelles Kapital zu besitzen um eine wahre Ablösung von Unterdrückung und Diskriminierung jeglicher Art auf die Beine zu stellen. Wir müssen nur stolz auf unsere Vorlieben als Ergebnisse komplexer sozioökonomischer Prozesse sein uns schon haben wir gewonnen! Weil es geht nämlich nicht nur um die ökonomische, sondern auch und vor allem um die symbolische Macht (was auch schon Pierre Bourdieu gecheckt hat). Weil was passiert, wenn das Vulgäre, die Straße, die Gegenkultur, das Untere und Abseitige auf Dauer in das Spiel der Moden, des Angesagten und Überholten eingespeist werden? Dann haben wir uns befreit, meine Lieben, dann sind wir mit unserem Barbarismus, unserer Hässlichkeit, Maßlosigkeit und Unverschämtheit legitim geworden. Produziert eure Sehnsüchte fortlaufend zweifelsohne und skrupellos weiter, seid was ihr seid! Und vergisst nicht stets und ausgewogen einen schönen FUCK OFF in diese kaputte Welt zu verschicken!
P.S. Dieser Text ist in der gleichem Duktus geschrieben, das heisst ganz bewusst ohne Rücksicht auf stilistische, grammatikalische oder wissenschaftliche Fehler und Regel. In dem Sinne Heil Satan und see you on the dancefloor!
Edit:
Die letzte Arbeit aus der Serie (Ruine in Mostar) ist zufällig genau passend entstanden, da ich in meinem Manifest vergaß die Bedeutung des Glitches (Fehlers) in meiner Biographie zu erläutern, wofür die Location wo sich dieses wunderbares Gebäude befindet perfekt dafür geeignet ist. Nämlich in Bosnien wo meine Mutter geboren ist und wo ich als Kind mit meinem gleichaltrigen Cousin die beste Zeit meiner Kindheit erlebte.
Und dann, im Jahr 2003, 10 Jahre nach dem Krieg den wir im Keller verbrachten, ist ein ziemlicher Glitch auf meinem innerem geistigen Bildschirm entstanden, nachdem ich mit 26 Jahren komplett unvorbereitet von heute auf morgen von Kroatien nach Österreich übersiedelt bin, die Sprache, Freunde, Familie und Landschaft über die Nacht hinter mir gelassen habe. Diesen Glitch das mittendrin in meinem inneren Programm das Bild verzerrt hat und ein Noise verursacht hat habe ich nie wirklich geschafft zu reparieren. Er ist noch immer da, brummt und zittert und stört und lässt mich in einem falschen Film leben.
November 2022